PE NEWS

Erneute Novellierung des Windenergie-Erlasses NRW vom 04.11.2015

Warum nach einer Haltbarkeitsdauer der Vorgängerfassung von 4 Jahren und 4 Monaten eine erneute Überarbeitung? Die für Novellierungen oftmals bemühte Argumentation einer „Vereinfachung“ kann hier kaum angebracht werden angesichts eines Anwachsens des Textumfangs von zuvor 46 auf nunmehr 90 Seiten, plus 18 Seiten im Anhang. Um so mehr gelten lassen kann man die vom Erlassgeber, federführend MKULNV, MBWSV und Staatskanzlei, vorgetragene Intention einer nochmals neu aufgearbeiteten Hilfestellung für den Windenergie-Ausbau im Lande.

Hier besteht erheblicher Nachholbedarf an effzienterer Nutzung der gegebenen Potentiale. Schließlich sollen 2025 zur Erreichung der ambitionierten Klimaschutzziele 20 % der Stromerzeugung in NRW aus Windenergie erfolgen. Hebel dafür sollen sein: das Repowering bestehender kleinerer Anlagen sowie die Öffnung neuer Bereiche für energetisch optimierte Großanlagen. Für die nachgeordneten Verwaltungsebenen besitzt der neue Erlass Verbindlichkeit.

Den Gemeinden, als Trägern der Bauleitplanung, soll er eine Hilfe auf diesem Gebiet sein, und schließlich soll er allen Beteiligten, auch Projektierern, den gültigen Rechtsrahmen aufzeigen. Dazu bedarf es auf drei Feldern der Anpassung an zwischenzeitlich geänderte Rahmenbedingungen:

a) Gesetzgebung

➣ Berücksichtigung des „Gesetzes zur Förderung des Klimaschutzes bei der Entwicklung in den Städten und Gemeinden“ vom 22.07.2011 (Klimaschutz-Novelle BauGB), mit u. a. Einführung des Sachlichen und Räumlichen Teilflächennutzungsplans, Sonderregelungen zur Windenergie in § 249 BauGB (Erhalt der Ausschlusswirkung, Regelungsmöglichkeit für Repowering von Alt-Anlagen)

b) Rechtsprechung BVerwG u. OVG NRW, z. B.

➣ „Büren-Urteil“ zur Differenzierung zwischen harten und weichen „Tabu“-Kriterien

➣ Wald als hartes Kriterium

➣ Gesicherte Vollzugsfähigkeit und „RaumSchafen“ einer FNP-Konzentrationszone; Folge: ASP II erforderlich

➣ Urteil zum Denkmalschutz

➣ Prüfmaßstab für die Abgrenzung von „Windfarmen“

c) Praxisfragen, z. B.

➣ Erläuterungen zur frühzeitigen Öffentlichkeitsbeteiligung
➣ Regelung des Prüfumfangs der UVP (Windparkbegriff)

Was hat sich durch die Neufassung tatsächlich geändert?

Bei den raumordnerischen Zielen fießt das zzt. noch laufende Aufstellungsverfahren für den neuen LEP NRW ein: Ziele in Aufstellung entsprechen „sonstigen Erfordernissen der Raumordnung“. Für die Bezirksregierungen entsteht ein Zwang zur Festlegung von „Windenergiebereichen“ als Vorranggebiete im jeweiligen Regionalplan (s. Kap. 3.2). Anschließend entsteht kaskadenförmig ein Zwang zur Anpassung der kommunalen Bauleitplanung, d. h.: Übernahme der regionalplanerischen Vorranggebiete in die Flächennutzungspläne.

In Kapitel 8.2.2.5 wird zur weitergehenden Öffnung der Landschaftsschutzgebiete ein i. d. R. überwiegendes öffentliches Interesse an der Windnutzung postuliert. Ergänzt wird dieses Bestreben durch anzuwendende Fachbeiträge des Landesamtes für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz (LANUV NRW) bzw. – wo diese noch fehlen – ein neues, standardisiertes Bewertungsverfahren zur LandschaftsbildBeurteilung. Ferner wurde ein eigenes Kapitel „Naturschutzrechtliche Eingriffsregelung“ (8.2.2.1) eingeführt, mit einer jetzt landesweit einheitlich geregelten Ermittlung des Ersatzgeldes für die entstehende LandschaftsbildBeeinträchtigung. Sofern der maßgebende Fachbeitrag des LANUV für die jeweilige Region noch nicht erstellt ist, greift ersatzweise ein im Anhang erläutertes Verfahren; drei fiktive Beispiele zeigen die Berechnungsweise des anfallenden Ersatzgeldes auf.

Zu diesem Detailpunkt finden Sie umseitig einen eigenen Artikel unserer Umweltabteilung. Für die Praxis der Bauleitplanung und die anschließende Nutzbarkeit von Windkraftzonen relevant ist die nunmehr ausdrücklich ermöglichte Differenzierung nach Eingriffen am Boden (für den Mastfuß) und im Luftraum dar- über (durch den Rotor). Kleinere Schutzgüter am Boden, wie z. B. unter Schutz gestellte Hecken, dürfen nunmehr, soweit dies ohne Schadensverursachung möglich und begründbar ist, vom Rotorkreis überstrichen werden. Ausgeweitet und verständlicher formuliert wurden die Fachkapitel „Umweltverträglichkeitsprüfung“ (5.1.2; hier wurde eine Definition und eine erläuternde Abbildung zum „Einwirkbereich“ von WEA eingefügt), „Naturschutzrechtliche Gebiete“ (8.2.2.2), „Artenschutz“ (8.2.2.3), „Wald“ (8.2.2.4) und „Denkmalschutz“ (8.2.4).

Hier sind jeweils die aktuellen rechtlichen Rahmenbedingungen und Gerichtsurteile eingeflossen. Neue Kapitel gibt es zu Hochwasserschutzanlagen (8.2.3.4), Stromnetze (8.2.10), Rohrfernleitungen (8.2.11), Geologischer Dienst (8.2.12) sowie Anlagenkataster u. Meldepflicht (8.3). Das vormalige Kapitel 8.1.3 „Technische Anlagen“ (Sendeanlagen, Richtfunk) ist in Kap. 5.2.2.3 (Öffentliche Belange) aufgegangen. In der Gesamtschau bleibt nunmehr abzuwarten, ob diese „Runderneuerung“ der Erlasslage sowie der damit verbundene nochmalige Appell zur Förderung des Klimaschutzes tatsächlich zu einem neuen Schub für die Windkraftausweisung führen.

Wünschenswert wäre eine Fortsetzung beim Abbau von immer noch nicht ausgeräumten – oder neuen – Hemmnissen für die planerische Praxis, z. B. in der Frage des Anlagenschutzbereiches für Funk-Navigationsanlagen oder – neu – des 10-km-Prüfradius rund um Erdbebenmessstationen.

– Dipl.-Geogr. Rochus Mey